
24.8.
5.40 Uhr vom Bahnhof los. In letzter Sekunde die Straßenbahn erreicht, sonst wäre alles direkt im Ansatz gescheitert. Kein Anschluss-Zug (Grund: Personalausfall. Bravo DB!) und umsteigen klappt auch nicht. Irgendwie doch noch Hannover über Umwege erreichen, echt purer Stress diese blöde Bahnfahrerei. Warum sind die Lautsprecher Durchsagen eigentlich immer genau dann, wenn der Zug laut quietschend einfährt ?
Also mit Glück den Flieger nach Ibiza bekommen. Durchatmen und über bestes Wetter freuen. Die Frisur sitzt (noch)
Ich überlege einfach hier zu bleiben, die Insel sieht von oben nett aus.

Allerdings habe ich meinem Sohn Begleitung versprochen. Er ist bereits vor 3 Wochen gestartet, den kompletten Camino de France von St. Jean Pied de Port aus will er laufen. 6 Wochen hat er für die 900 km eingeplant und dazu seinen Jahresurlaub genommen. Er hat mich sozusagen mit der Idee angesteckt. Ich habe kurz überlegt und dann spontan den Flieger gebucht. Wenigstens eine Teilstrecke soll es also für mich werden.
Zwischenstop in Barcelona, dann weiter nach León. Dort gg. 16 Uhr am Flughafen gestrandet. Habe nur die Adresse von der ersten Herberge in der Tasche. Sinn der Reise ist es ohne Fortbewegungsmittel auszukommen. Ab hier heisst es nun konsequent zu werden und nicht wie gewohnt den Bus in die Stadt zu nehmen!
Die ersten 15 km bei 35 Grad Hitze vom Flughafen in die Stadt sind gleich zum Einstieg. Ich bin ohne Training gestartet, fühle mich nach einem Kilometer schon höchst unmotiviert. Zweifel kommen auf, was mache ich hier eigentlich ? Mein spanisch ist quasi nicht existent. Ich habe nur die Buen-Camino-App auf dem Handy, so eine Art Navigation-Wegbeschreibung mit Herbergenfinder, aber ansonsten keinen weiteren Plan davon was mich hier überhaupt erwarten könnte. Werde ich vielleicht ausgeraubt oder breche ich mir den Fuß ? Was wenn ich Zahnschmerzen bekomme ? Wo ist eigentlich mein Laptop, warum hab ich keinen MP3 Player dabei ? Habe ich zuhause das Wasser abgedreht und die Tür 3x abgeschlossen ? Ach ja, und so ein Moped wäre doch gerade jetzt besonders praktisch !
Irgendwie schaffe ich es abends in der Herberge anzukommen. Tja, wenn man erstmal unterwegs ist, hat man nicht mehr so viele Möglichkeiten. Ich werde dort freundlich begrüßt, man hat sogar extra auf mich gewartet, wow! Ich bekomme direkt meinen ersten Stempel in den Pilgerausweis, bin erstmal beruhigt und sogar ein bißchen stolz!

Nebenan gibts einen Burger King, ein Menü kostet dort im Vergleich zu D nur die Hälfte, aus ostwestfalischer Knauserer-Sicht schonmal sehr sympathisch dieses Spanien! Zurück in der Herberge: Fernsehen im Aufenthaltsraum mit kleiner Party. Die feiern immer noch den längst vergangenen Sieg bei der Frauen WM. So sind sie, immer nur essen, trinken und feiern im Kopf, einen Grund dazu braucht es wohl nicht wirklich. Beneidenswert!
25.8.

8 Uhr ausser Herberge raus, nach X Kaffee geht es in Richtung erstes Etappenziel. Erstmal den Trubel der Stadt hinter mich bringen. Die sehenswerte Kathedrale in Leon spare ich mir, ich denke ich werde unterwegs noch genug andere davon sehen. Erstmal muss ich mich orientieren, was trotz App nicht einfach ist. Zum Glück gibt es überall gelbe Pfeile und Meilensteine, die werden die nächsten Tage meine Begleiter und (hoffentlich) verlässlichen Wegweiser sein.

Raus aus der Stadt, ab in die Landschaft. Sengende Hitze, Es geht über Land, leicht bergauf, aber links und rechts immer wieder Brunnen. Aqua Portabel steht drauf, wenn man es denn trinken darf. Ich habe eine Wasserflasche dabei die ich überall auffüllen kann. 3 Liter pro Tag wurde mir empfohlen, Burps!

Bäume mit reifen Früchten stimmen mich nachdenklich, Trauben die an den Hauswänden hochranken, aber warum sind die nicht gepflückt ? Schmecken tun sie hingegen hervorragend, offenbar ein grosser Selbstbedienungsladen. Der erste Tag führt mich nach Villar de Mazarife, nach 21 Kilometern Fußmarsch mit einigen Pausen checke ich für 10€ die Nacht bei Pepe ein. Hier stehen überall versteinerte Löwen rum und die Jakobsmuschel ziert viele Häuser.

Die ersten Tage will ich langsam angehen, so wurde es mir geraten. Schlafsack habe ich dabei. Des weiteren insgesamt 6 kg Gepäck mit folgender mir empfohlener Grundausstattung: 3 U-Hosen, 3 Paar doppelwandige Strümpfe, 3 T-Shirts, 1 Fleece Jacke, 1 Jeanshose (war komplett sinnfrei die mitzunehmen) 1 Kombihose mit Zip zum umrüsten auf kurze, ein Regencape, Zahnpasta + Bürste, Seife, Rasierzeug, 2 x Handtuch, Badelatschen, Pilgerausweis, Sonnenbrille, Cappy, sowie 2 Wanderstöcke (die ich allerdings nie benutze und kurz vor Ende noch verschenken werde) Achja, Handy und Netzteil natürlich auch. Man kommt mit wenig Kram aus, wenn es denn sein muss.
Nix Pilgererer, nur ein Eingeborener mit Sonnenschirm ..

26.8
Auffi gehts! Das Tagesziel wird heute Astorga heißen und ich sollte in der Herberge „My Way“ übernachten, schlägt mir zu mindestens die App vor. Mich packt direkt der Ehrgeiz, 30 km sind schon okay für den 2.ten Tag, vor allem bei dieser Hitze! Ich sehe wenig andere Pilger, aber sie waren definitiv schon hier, was mir ihre Zeichen verraten. Die Landschaft erinnert mich ein bisschen an Holland. Blumen, Raps, Maisfelder. Alles durch kleine Bewässerungskanäle vernetzt, die sich auch prima eignen, um darin kurz die Quanten abzukühlen.
Die App brauche ich unterwegs eigentlich nicht, denn der Weg ist ausreichend gekennzeichnet und die Steine teilen mir in regelmäßigen Abständen mit, welchen Weg ich noch vor mir habe.

27.8.
Von Astorga gehts nach Foncebadón. Mein aktuelles Lied auf den Lippen lautet heute „My Way“ von Frank Sinatra. Das Frühstück war gut und billig obendrein. Die gute Laune scheint anzustecken. Ich mache unterwegs Pause bei einem Brunnen, eine Frau reicht mir einen Korb mit frischen Früchten, einfach so! In ähnliche Situationen werde ich noch öfters geraten, die Gastfreundschaft hier ist enorm. Während ich dies schreibe werde ich melancholisch, insgeheim sehne ich mich jetzt schon danach, dass alles irgendwann noch einmal zu erleben.
Zwischendurchen immer wieder Kirchen ..

Nach roundabout 30 km erreiche ich meine Herberge. 10€ für ein Bett im Schlafsaal. Langsam werden die Betten belegter, ich treffe auf andere Pilger. Offensichtlich viele Italiener. Ich spreche kein Italienisch und die weder Deutsch oder Englisch. Ich komme mir etwas einsam vor. Den Rucksack verstaue ich nah am Bett. Bargeld, Karten und Handy in der Bauchtasche, ich schlafe darauf, komme mir aber etwas komisch dabei vor.
28.8.
Die anderen Pilger gehen schon früh morgens los, ab 6 Uhr wirds laut im Schlafsaal und ich stelle erfreut fest, das ich nicht ausgeraubt wurde. Es knistert und blinkt, die Leute packen im dunkeln ihre Sachen zusammen, sie wollen so früh wie möglich los um der Hitze zu entgehen. Möglichst schon am späten Mittag das Tagesziel zu erreichen ist der Plan. Euer Erzähler ist eher Langschläfer und wird deswegen meistens erst gegen Abend seine Herbergen erreichen. Dafür macht er
viele Pausen und verweilt in schönen Gegenden etwas länger. Die Landschaft setzt sich hier größtenteils aus Ruinen und kleinen Kirchen zusammen.

Ich habe wieder mit dem Rauchen angefangen. Einsamkeit, oder aber nur weil die Zigaretten hier so verdammt billig sind ? Naja, zuhause höre ich bestimmt wieder auf mit dem Zeug. Achja, in manche Kirchen kann man auch reingehen ..

Heute schaffe ich es bis Ponferrado, was nochmal so knapp 30 km Tagesleistung wären. Langsam läufts bei mir

Ponferrado ist eine größere Stadt und meine Herberge heißt Hostal Rio Selmo. Sie ist in Wirklichkeit aber ein Hotel mit Einzelzimmer und Dusche für 40€. Ich beschliesse das ich mal etwas Luxus in Form von Fernseher privater Dusche benötige. Unterwegs habe ich zwei Engländer kennengelernt die zufälligerweise im Nebenzimmer nächtigen. Mit den humorvollen Briten gehe ich abends essen und wird reden über den Camino, Gott und die Welt. Einer der beiden läuft den Weg schn seit Jahren und hat einige Interessante Geschichten auf Lager. Langsam geht es auf Mitternacht zu und wir wundern uns darüber, das die Kinder noch nachts auf den Straßen spielen. Die Erwachsenen gehen ins Bett, die Kindern spielen weiter. Spanien ist irgendwie anders ..
29.8.
Immer noch Ponferrado. Hatte ich schon Fotos von Kirchen gepostet ?

Den ganzen Morgen versuche ich diese Stadt zu verlassen, im Morgenverkehr stolpere ich über Hauptstraßen und verlaufe mich in Seitengassen. Ich merke gerade, dass ich hier nicht wirklich Spaß habe und mir das alles anders vorgestellt habe. Ich vermisse mein Moped, wie schnell wäre ich damit jetzt aus der Stadt raus ? Kann ich das nicht einfach nehmen ?

Anderen Pilgern scheint es ähnlich zu gehen. Man versucht in die idyllische Landschaft zu finden um den eigentlichen Weg zu geniessen. Im Supermarkt treffe ich auf 2 Australierinnen. Die Beiden werde ich ab hier regelmäßig wiedertreffen. Wir gehen ein Stück gemeinsam weiter, so wird es erträglicher im Großstadtdschungel.
Mittags erreiche ich endlich die Stadtgrenze. Hier wird ein zur Herberge umgebautes Kloster für 2 Stunden meine Pause sein. Die Klostervorsteherin ist sehr liebenswürdig und macht mir einen starken Kaffee. Eine Übernachtung kostet hier 6€ und ich überlege kurz ob ich bleiben soll, mache mich dann aber trotzdem auf den weiteren Weg. Diese Teilstrecke wäre jetzt auch einfach viel zu kurz gewesen.
Kurz bevor ich das Kloster verlasse, fällt mir noch jemand auf den ich unterwegs schon gesehen habe. Ich meine er spricht sogar deutsch, aber auch nicht so ein Richtiges. Später stellt sich heraus, das er ein Schweizer ist. Auch er wird ab hier einer meiner Weggefährten.
Im Nachhinein unglaublich, aber ich schaffe an diesem Tag meine ersten 40 km. Das alles trotz der Umwege und Pausen. Ich komme abends total erschöpft in Las Herrerias an. (Blick von der Terasse)

Dort erwartet mich für 22€ ein Mehrbettzimmer , ein total feines Abendessen mit drei Gänge Menü in illustrer internationaler Runde mit anschliessendem Akkordeonspiel und Gesang. Ich lerne einen Dänen kennen, mehr Australier und bandel später mit der Akkordeonspielerin an. Eine Deutsche die hier vor ein paar Jahren hängengeblieben ist, eine typische Aussteigerin. Ein Tag der gebraucht anfing aber total schön endet. Irgendwie fühle ich mich heute das erste mal so, als wäre ich angekommen. Als wenn es plötzlich irgendeinen Sinn machen würde, sich hier die Fußsohlen abzuwetzen.
30.8.
Las Herrerias, das Bergdorf. Als ich es um 7.30 bei dichtem Nebel verlasse wird mir noch nachgewunken.

Am Abend zuvor wurde mir noch angeboten bei freier Kost und Logis zu bleiben. Ich hatte mich spät noch länger mit dem Besitzer unterhalten, er plant dort einen Anbau und könnte Hilfe gut gebrauchen, volunteers welcome! Ich hätte ihm gerne zugesagt, weil das ein richtig toller Ort war, auch wegen dem schönen Akkordeonspiel und dem Sofa mit Wasserpfeife (ich glaube da war mehr als nur Wasser drin) aber ich musste weiter!
Am 10.9 geht mein Flieger von Santiago de Compostella nach Hause und ich hatte noch 250 km vor mir. Zudem war mein Sohn die ganze Zeit 30-50 km hinter mir, weil er sich eine Erkältung eingefangen hatte und nicht mehr so richtig vorwärts kam. Ich wollte eigentlich in der nächsten größeren Stadt auf ihn warten, selber aber vorher selber noch etwas Strecke machen, denn ich war ja quasi gerade erst losgelaufen.

Die Herberge mal etwas früher zu verlassen war eine gute Entscheidung. Was mich von dem Abstieg aus den Wolken erwartete, werde ich so schnell nicht vergessen. Fotos können sowas nicht wiedergeben, man muss einfach da gewesen sein. Die Blasen die ich mitlerweile an den Füßen hatte schmerzten plötzlich nicht mehr. Ich schwebte regelrecht den Berg herunter, wie in einem Märchen! Beim Absteig waren dann die beiden Engländer, die Australierinnen und eine Mexikanerin meine Begleitung. Jeder hatte was zu erzählen, wir hatten viel zu lachen und es gesellte sich hier und da noch jemand dazu und verschwand wieder. Mitlerweile hatten alle das gleiche Tempo, die Leute die ich einmal kennengelernt hatte, es dürften mitlerweile so um die 20 sein, traf ich früher oder später immer wieder. „See you, we will bump together somewhere“, „Okay, buen Camino“ Meistens traf ich sie dann an einer der zahlreichen „Bars“ wieder.
Heute erreiche ich Galicien, es geht rauf und runter in brütender Hitze.

Meistens geht der Camino direkt durch die Dörfer. Oft menschenleer, aber immer viele Kittys !

Bars sind Cafes, Kneipen und Restaurants die in regelmässigen Abständen den ganzen Camino über verteilt sind. Verhungern oder verdursten muss hier niemand, auch nicht ohne Geld. So eine zufällig ausgeklügelte Kneipen-Infrastruktur sucht man woanders vergeblich. Der Jakobsweg ist nicht nur für die ärmere spanische Bevölkerung ein Segen, bei denen er für ein regelmäßiges Einkommen sorgt. Die meisten Pilger lassen nicht gerade unerhebliche Summen dort. Selber habe ich tagsüber um die 20€ für Futter und Getränke ausgegeben. Käsekuche, Cola und spanisches Gebäck, man muss immer gut nachlegen um die Strapazen auszuhalten. Dazu dann Abends im Restaurant oder direkt in der Herberge noch essen gehen. 50€ pro Tag sind keine Seltenheit. Ganz so günstig wie man vielleicht meint ist das Pilgern also nicht.
Unbedingt probieren ! Spanische Churros ..

31.8.
Tag 7 meiner kleinen Wanderung durch die frisch-fröhliche Natur. Heute lande ich in der Herberge Rebolaira in Fonfría und schaffe insgesamt nur 20 km. Irgendwie habe ich an diesen Tag keine besonderen Erinnerungen, nur das es wirklich die ganze Zeit bergab ging und ich ziemliche Schmerzen an den Füssen hatte.

Entweder war es heute oder vielleicht auch morgen, dass sich ein deutschsprechender Typ dazu gesellte, der immer wieder davon sprach das er den Camino eigentlich hassen würde, am liebsten gar nicht hier wäre. Wie es sich später herausstellte, ist er aber der wahre Pilgerer und hat schon halb Europa zu Fuß durchquert. Beruflich ist er bei der Bergrettung, irgendwo in den Alpen. Er wandert einfach nur gerne und versucht sich so fit zu halten. Er schleppt 24 kg Gepäck mit sich rum, fast das 4-fache was ich an Ausrüstung dabei habe. Von GPS und Funkgeräten über Gaskocher und Trinkwasseraufbereiter bis hin zu einem kompletten Zwei-Mann Zelt. Er hat sogar Sekundenkleber dabei und hilft mir meine sich lösenden Schuhsohlen zu verkleben. Eine wandelnde Komplettausüstung, gut ihn zu kennen. Was er allerdings nicht mag sind geteerte Strassen, davon gab es die letzten Kilometer einige die es über- bzw zu unterqueren galt.
Das Bild ist chronologisch falsch, die Autobahnetappe war tatsächlich schon früher (Nachwirkungen von der Wasserpfeife)

Das passt auch nicht, die Weinberge waren weiter vorher denn mitlerweile bin ich längst in Galicien angekommen

Ich hatte Glück und war kurz vor der Ernte da, eigentlich abgesehen von der Hitze die beste Zeit den Camino zu laufen. Ich habe mich sozusagen wandernden Fußes durch die Felder gefuttert.

Viele Pilger sind alleine unterwegs, sehr viele junge Leute aber auch einige ältere um die 70. Auffällig sind die zahlreichen jungen Frauen die solo unterwegs sind. In anderen Ländern wäre das so bestimmt nicht möglich. Hier in Nordspanien erscheint alles nicht nur sicher und friedlich, sondern ist es auch tatsächlich.

Man muss sich keine Sorgen machen das man überfallen oder ausgeraubt wird. Die Pilger sind hoch angesehen, obwohl sie teilweise nur wie arme Landstreicher aussehen. Jeder zollt ihnen Respekt entgegen und wünscht ihnen einen guten Weg. Alle sind so unglaublich herzlich und hilfsbereit, dass man sich fast schon wie in einer fremden Welt vorkommt. Ein paar Tausend km weiter tobt ein Krieg, auf den Weltmeeren ertrinken Menschen auf der Flucht, überall lauert Kriminalität, Neid und Gier. Ja, man braucht schon viel Zeit um all die Skepsis abzulegen und zu erkennen das dies hier real ist.
1.9.
Heute mal wieder die 30 km geknackt, ich komme geschlaucht in Sarria an. Es ist immer noch sehr heiß, weit und breit kein Regen in Sicht. Es hat die ganze Zeit nicht geregnet, mein Regencape war offenbar eine Fehlinvestition.
Sarria ist aus Pilgerersicht etwas besonderes, aber eher im negativen Sinne. Von hier aus sind es noch ca. 120 km bis zum Ziel, der Kathedrale von Santiago. Von hier gehen alle diejenigen los, die ein Zertifikat haben wollen, ohne den kompletten Weg zu gehen. 100 km ist die Minimum Distanz um das begehrte Zertifikat, das Credencial del Peregrino, zu bekommen. Im Klartext heisst das: Ab hier laufen die Massen los und der Camino wird zum Konsumprodukt. Schulklassen, Busreisen, Kommerzveranstaltungen, das komplette Programm !
Ich checke abends im der Albergue Oasis ein und lande in einem 6 Bettzimmer mit 2 Französinnen, Mutter und Tochter, 2 jüngeren Italienern und einem wortkargen Schwaben, den ich danach aber nie wieder treffen werde. Die anderen hingegen ab hier regelmässig. Mit meinem Start in León bin ich immer noch der Anfänger, die meisten sind in Frankreich gestartet und haben zu diesem Zeitpunkt schon 4 Wochen Fußmarsch auf dem Buckel. Weiterhin zolle ich den „weitgereisten“ grössten Respekt entgegen und kommen mir immer klein vor, wenn ich nach meinem Startpunkt gefragt werde. Andererseits spielt das aber überhaupt keine Rolle und viele laufen einfach nur Teilstrecken, da sie natürlich nicht soviel Zeit haben.

2.9.
Nun fängt es doch noch an zu regnen. Ich flüchte mit dem Mob Richtung Portomarin und schaffe heute nur schlappe 12 km. Aber es hat sein Gutes, denn heute holt mich mein Sohn ein. Ich mache um Mittag „Feierabend“ und setze mich in ein Restaurant und treffe dort auf den Schweizer Kollegen. Zusammen verbringen wir den Nachmittag während wir auf meinen Sohn warten. Um 18 Uhr erscheint er dann. Braungebrannt vom Weg, die Knie mit Bandagen umwickelt und wie angekündigt in Begleitung. Er hat unterwegs natürlich auch einige Leute kennengelernt, wobei eine Bestimmte nun schon über 400 km an seiner Seite ist.
Unsere Typische Pilgermahlzeit. Was nie fehlen darf sind Churros

Wir checken in einer der 12€ Herbergen ein, essen etwas und versuchen unsere Wäsche zu waschen, denn es gibt dort eine Waschmaschine und einen Trockner. Nicht das ich bisher nichts gewaschen hätte, allerdings immer nur per Handwäsche und Nachts provisorisch über dem Bett getrocknet.
3.9.

Portomarin. Langsam tickt die Uhr, ich werde leicht nervös. Ab heute müssen wir Meter machen! Insgesamt liegen noch 170 km vor uns und wir haben eigentlich nur noch 5 Tage, da wir mindestens einen Tag am Meer verbringen wollen. Das sind also 35 km Fußmarsch pro Tag, wobei wir noch einige Steigungen vor uns haben. Also reinhauen! Der Weg wird zum Stress ? Nein, aber mir kommen laute Gedanken wie z.b. „notfalls mit dem Bus fahren“ aus dem Mund, die aber sofort mit „Fake“ und „Niemals“ -Rufen niedergeschmettert werden. Ja, wir müssen das aus eigener Kraft schaffen! Okay, klar, aber könnte man nicht einfach diese Ducati-Monkey nehmen ? ..lechz !
4.9.
San Julián del Camino, wieder so eine 30 km Strecke über Stock und Stein. So richtig erinnern kann ich mich nicht mehr, nur daran das ich eine vermeintliche Abkürzung über einen Alternativweg ausprobiert habe. Sohnemann samt Begleitung sind schon früher gestartet und den knapp 10 km längeren Hauptweg gegangen. Belohnt werde ich dafür mit diesem wunderschönen, historischen Brunnen mitten im Wald.

Ich verweile dort eine Stunde um die Füße abzukühlen, was man allerdings unterlassen sollte. Aufquellende Füße sind schlecht für die mitlerweile aufgeplatzten Blasen! Abends treffen wir uns bei „El Aleman“, in einer Deutschen Herberge wieder. Typisch Deutsches Essen, nämlich Hamburger mit Pommes und ein paar Runden Mau-Mau, danach sind wir total platt und schlafen schnell ein.
Zwischendurch immer wieder ohne Kippen, Tabakläden sind selten gesät und werden deswegen direkt angesteuert.

5.9.
Monto de Gozo! Mit 45 km meine weiteste Etappe! Der Schweizer hat uns verlassen, er hat zuviel Zeit und muss sich nicht sputen. Nur noch einen Tagesmarsch von Santiago de Compostella entfernt. Ich erinnere mich an eine sehr schöne Herberge für 18€ inkl. Abendessen. Im Hintergrund hört man die Windräder und ich kann, trotz dieser enormen Tagesleistung, nicht sofort einschlafen. Ich beschäftige mich rauchend vor der Herberge, auf einer Steintreppe sitzend, mit den streunenden Katzen im Mondlicht. Katzen gibt es hier so unglaublich viele, genauso wie herrenlose, wilde Hunde. Nächstes mal fahre ich bestimmt mit dem Bulli runter und rette sie alle !
6.9

Heute kommen wir vor den Toren von Santiago an. Nur schlappe 27 km laut Tacho, piece of cake! Morgen früh geht es zur Kathedrale, wo die Mönche uns endlich mit Weihwasser überschütten werden. Abends kehren wir in einer Art Massenunterkunft mit 600 Betten ein. Solche Unterkünfte gab es unterwegs immer mal wieder. Sie werden von der spanischen Xunta betrieben und sind zur Hälfte in staatlicher Hand. Erkennen tut man sie unter anderem daran, dass alles sehr spartanisch eingerichtet ist. Kein Luxus, Spiele, Fernsehen ..höchsten freies WiFi. Allerdings auch keine Bettwanzen, vor denen uns in anderen Herbergen immer wieder gewarnt wurde.
In der Unterkunft ist richtig was los, hier vor den Toren der Stadt treffen die verschiedenen Jakobswege aufeinander und bündeln sich zu einem Weg bis runter in die Innenstadt zur Kathedrale. Wir landen in einem 6 Bett Zimmer und sind nach dem Essen und der Dusche relativ schnell eingeschlafen. Draussen wird weiter gefeiert, wie sooft bis in die späte Nacht.
7.9.
Der grosse Tag. Ab heute werde ich offiziell als Pilgerer geführt und kann sagen: „Wenn du einmal auf dem Camino warst, wirst du ihn nie wieder verlassen“. Klingt etwas übertrieben, aber ein Funken Wahrheit ist vielleicht dran ?

Die Kathedrale ist beeindruckend, die Stadt auch sehr schön, allerdings quillen aus jeder Ecke Souvenirläden hervor. Die Menschenmengen nerven schon etwas nach all der Ruhe und Einsamkeit. Wir versuchen daher die Stadt so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Aber erstmal die Credencial abholen, die kostet ja nix.
Ab hier fangen wir quasi wieder bei Null an, da der eigentliche Weg ja in Santiago endet. Neues Ziel ist nun Finisterre, das Ende der Welt! Dort zum Leuchtturm hoch, auf den Felsen klettern und betrinken, vorher natürlich einmal ins Meer springen, so lautet der Plan.

Abends kommen wir in Negreira an. Mal wieder knapp 30 km über übelstes Gelände geschruppt. Es ging permanent rauf und runter, dass alles bei einer Schweinehitze und mit schwindenen Wasservorräten, da hier kaum noch Brunnen sind.

Wie ich das alles überstanden habe, ist mir weiterhin ein Rätsel. Ich bin ja auch keine 19 mehr. Eine alte Herberge mit vielen Zimmern und einem großen wilden Garten wird unsere Bleibe. Heute kochen wir mal selber etwas. Vorher haben wir uns dazu im Supermercado mit lauter gesunden Dinge eingedeckt (Würstchen, Schokolade, Coca-Cola)
Aktueller Verfassung: Ich bin körperlich am Ende, Gedanken kreisen um Taxis und Busse, einfach mal etwas ausruhen, lass die jungen doch weiterlaufen ..

An sowas ist in diesem körperlichen Zustand gerade nicht zu denken. Nicht mal ein Bikeporno könnte mich jetzt noch erregieren. Obwohl, mir ist unterwegs diese ältere Dame begegnet ist, da hätte schon was laufen können. Spanien hat definitiv die hübscheren Mädels!

8.9.
Ich bleibe standhaft! Hier ist kaum noch was los auf dem Camino, das macht es erträglicher. Viele Pilgerer tun sich das nicht mehr an und fliegen/fahren von Santiago zurück in die Heimat. Wir freuen uns über schöne, schattige und ruhige Wege durch riesige Eukalyptuswälder und verwunschene Orte.

Hier und da eine Bar, oft unbemannt, sogenannte Donativos: Man legt einfach soviel Geld in die Kasse wie man glaubt das einem Getränke und Nahrung wert sind. Man möchte meinen dieses System funktioniert nicht, tut es hier aber sehr wohl. Wir erreichen gegen späten Nachmittag Logoso. Insgesamt 36 km heute und daher voll im Soll, keine Gedanken mehr an den öffentlichen Nahverkehr, der Geist ist wieder willig !

Üble Gesellen sollen hier damals gelauert haben. Was erwartet uns am Ende der Welt denn nun, etwa der blanke Horror ?
9.9.

Kap Finisterre – Das Ziel. Nach 32 km kommen wir in der Stadt an. Schon weit vorher konnte man von den Bergen aus das Meer sehen. Unten in der Stadt angekommen geht es natürlich zuerst an den Strand um eine originale Jakobsmuschel zu ergattern. Ich bin durch die Anstrengungen der letzten Tage ziemlich aufgeheizt, das Meerwasser kommt mir vor als wäre es 0 Grad kalt.

Baden reicht daher nur für die Füße, wir laufen den Strand entlang der uns direkt zur Herberge führt. Nach dem einchecken dort geht es direkt weiter zum Leuchtturm hoch, hier befindet sich auch der 0 km Stein. Ich hab jetzt tatsächlich noch etwas Puste, trotz der gut 420 km die ich in den letzten Tagen gelaufen bin. Manchmal kommt man weiter als man denkt.

Jetzt ist es also geschafft, wir sind trotz oder gerade deswegen alle bei bester Laune! Nach einer Flasche Wein auf den Klippen gehen wir zurück in die Herberge. Mal eben nochmal 10 km abspulen. Pah, derartige Kurzstrecken fallen eigentlich gar nicht mehr ins Gewicht. Ich denke an Zuhause, wie oft ich mir aus purer Faulheit, selbst zum nur 100 Meter entfernten Bäcker meinen Gnom schnappe. Werde ich nach dieser Erfahrung vielleicht „vernünftig“ werden ? Mal schauen, auf jeden Fall war es ein „Urlaub“ der mir lange Zeit in Erinnerung bleiben wird.

Abends wird in der Stadt noch gefeiert, es wird dem Meer und der Fischerei gehuldigt, ein schöner letzter Abend auf dem Camino und ein gebührender Abschied für uns. Oben auf dem Schrein liegen übrigens meine Schuhe die zum Meer getragen werden

10.9.
Letzter Tag in Spanien, es wird wehmütig. Ab und zu habe ich noch ein bekanntes Gesicht gesehen, ab hier ist nun alles anders. Der Camino ist abgelaufen, es geht zurück in den Alltag. Von Finisterre gings mit dem Bus zurück nach Santiago und die letzte Nacht wird in einer Herberge in der Nähe des Flughafens verbracht. Im Aufenthaltsraum feiern andere Pilger ihre Erlebnisse und Erfolge, es ist laut. Es wird viel gegessen, getrunken, geklatscht und gelacht. Eigentlich noch alles so wie immer. Unser Flieger geht um 7.45 Uhr und wir lernen noch weitere Leute kennen, die den auch nehmen wollen. So beschließen wir gemeinsam ein Großraumtaxi zu bestellen, eine vermeintlich durchorganisierte Belgierin nimmt das in die Hand. Die Taxizentrale schlägt ihr vor das Taxi besser morgens früh spontan zu bestellen, denn das wäre so viel billiger. Ein Fehler wie sich herausstellt, denn Sonntag morgens sind die Taxizentralen mit den Nachtschwärmern überlastet. So kommt es dazu, das wir zu undankbarster Zeit um 4.30 Uhr morgens einen Sprint zum 5 km entfernten Flughafen hinlegen müssen. So wie der Weg angefangen hat endet er hier auch für mich

Danke fürs Lesen, buen Camino allerseits.
